Gasthauskind
Roman, 2009 - zusammen mit Ingried Wohllaib
erhältlich bei Piper-Verlag

Es gibt Dinge, die stimmen vollkommen. Das Holz zur Form des Möbels, der fallende Stoff einer Hose zum Schnitt. Das Haus, in dem ich geboren wurde, stimmt auf diese Weise. Es steht an einem langen, sanften Hang mit weitem Blick, die breite Fassade nach Süden. Die Stärke der Mauern steht im richtigen Verhältnis zur Länge und Breite des Baus. Die Größe der Räume entspricht dem Licht, das aus der jeweiligen Himmelsrichtung hineinfällt.

Vor Jahren zeigte mir Ingried Wohllaib die ersten Seiten ihres Manuskripts „Gasthauskind“ mit der Frage, ob es sich lohne, weiterzuschreiben. Der Text machte sofort Eindruck auf mich. Eine rohe, aber eigenständige, rasante poetische Sprache. Leidenschaft des Empfindens und Erzählens. Scharf beleuchtete Bilder aus einem Leben, das die Literatur aus dieser Perspektive bisher nicht kannte. Ingried Wohllaib war selbst Gasthauskind, sie weiß, wovon sie spricht. Inzwischen ist sie Graphikerin, und auch das merkt man: an der Sinnlichkeit der Wahrnehmung, der Farbigkeit der Bilder, dem ästhetischen Temperament. Der Duktus ist knapp, fast stakkatohaft. Es sind eher Dias als Szenen. Ein epischer Fluss ist nicht beabsichtigt: Schon in der Verfremdung sind die Eindrücke hart genug. Dennoch ist „Gasthauskind“ keine Sozialmisere. Davor bewahren es sprachliche Leuchtkraft, überraschende Mikroeinfälle, ein gelegentlich grimmiger Humor.

„Gasträume ausgefegt. Theke mit Getränken nachgefüllt. Wie sehen die Toiletten aus? Herrentoilette verkotzt! Seltsame Menschen, ihnen war nicht schlecht, sie hatten keine Kreislaufstörungen. Sie tranken alles durcheinander, standen auf, gingen zur Toilette, kotzten, kamen zurück, setzten sich und tranken weiter. Sie wussten nichts über sich, sie fühlten weder ihre Seele noch ihren Körper. Manchmal starb einer. Ich fragte: Woran? Wie alt? Wann? Keiner konnte es sagen. Alle standen vor einem Rätsel. Eigentlich redeten sie auch nicht gerne darüber, bestenfalls bekam man, bei höherem Pegel, Sentimentales wie ‚guater Kamerad' zu hören; als wäre er in der Schlacht gefallen.“